Herbst der Geschichte - Schülerakademie zu 60 Jahren Mauerbau

Zwei Wochen vor den Herbstferien machte unsere Lehrerin Frau Dr. Schulte uns auf ein spannendes geschichtliches Projekt der Wolfsburg aufmerksam. Diese ist seit 1960 die katholische Akademie des Bistums Essen und organisiert regelmäßig Akademien für interessierte Schüler und Schülerinnen mit aktuellen und historischen Schwerpunkten. Die diesjährige Herbstakademie widmete sich dem Thema der deutschen Teilung unter der Leitfrage „Sind wir ein Volk?“ anlässlich des diesjährigen 60. Jahrestages des Baus der Berliner Mauer und wir meldeten uns noch am selben Tag an, da uns klar war, dass dies eine einzigartige Möglichkeit sein würde. Eine Woche später kam die Zusage, dass wir beide an der Akademie teilnehmen dürften, und das obwohl es nur 13 Teilnehmerplätze für ganz NRW gab.
Schon bei Ankunft montagmorgens an unserem 1. Ferientag begannen wir Kontakte zu knüpfen und uns mit den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern auszutauschen, bevor die Akademie überhaupt begonnen hatte. Wir wurden von Dr. Jens Oboth, dem Dozent für Zeitgeschichtsforschung an der Wolfsburg, herzlich begrüßt und in das Thema eingeleitet.
In der ersten Einheit gab uns Dr. Frank Hoffmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Deutschlandforschung der Ruhr-Universität Bochum, einen ausführlichen Überblick über die 40 Jahre der Teilung von 1949 bis 1989. Anschließend bewertete er gemeinsam mit uns die Lebenswirklichkeiten in Ost- und Westdeutschland und deren Verbindung und Kommunikation miteinander. Der Tag wurde gekrönt von einem Zeitzeugengespräch mit Peter Keup, der aufgrund eines Ausreiseantrages seiner Familie in das Visier der Stasi geriet und nach einem fehlgeschlagenen Fluchtversuch zu einer zehnmonatigen Haftstrafe verurteilt wurde. Dieser erzählte uns eindrücklich Details aus seinem Alltagsleben in der DDR. Herr Keup war auch schon Gast an der Luise im Unterricht von Frau Dr. Schulte.
Nach einer kurzen Nacht räumten wir unser Gepäck und begaben uns zu dem Hauptbahnhof Duisburg um endlich mit dem ICE nach Berlin zu fahren. Während der fünfstündigen Fahrt studierten wir die Biografien der Zeitzeugen, die wir auf unserer Fahrt treffen würden.
Angekommen verstauten wir unser Gepäck im Hostel und machten uns sofort zu der Kulturbrauerei, wo wir durch die Ausstellung „Alltag in der DDR“ geführt wurden, folgend von einem Kiezspaziergang im Prenzlauer Berg. Dort wurden das Leben und die Arbeit in der Deutschen Demokratischen Republik beleuchtet. Den Abschluss des Tages bildete ein abendlicher Gang zur East Side Gallery, wo wir die Werke betrachteten, die 1989 nach dem Fall der Mauer verewigt wurden.

Die ersten beiden Einheiten des nächsten Tages wurden der Bernauer Straße gewidmet. Eine Führung zeigte den Grenzverlauf und die Bewachung desselben mitten im Stadtgebiet auf. Anschließend hatten wir die großartige Möglichkeit einen Diskurs mit Joachim Neumann zu führen, einem der Tunnelbauer der Tunnel „27“ und „57“. Er schilderte authentisch seine Erfahrungen und Erlebnisse beim Bauen der Fluchttunnel und beantworte bereitwillig jegliche Fragen, die von uns gestellt wurden. Einer der von ihm gebauten Tunnel wurde im Jahre 1963 verraten. Unter diesem Aspekt bekamen wir die einmalige Gelegenheit, in das Archiv der ehemaligen Stasi-Zentrale zu fahren. Dort wurden in die Arbeitsweise und Organisation des Ministeriums für Staatssicherheit eingeführt und hatten die Möglichkeit, mit ausgewählten Akten die Hintergründe des „Verratenen Tunnels“ zu ergründen. Besonders der Umgang der Stasi mit inoffiziellen Mitarbeitern hat uns fasziniert, auch die Beweggründe, warum Menschen zu IMs wurden.

Im Zentrum des Donnerstages stand das ehemalige Zuchthaus in Cottbus. Nach einer einstündigen Zugfahrt trafen wir uns am Bahnhof mit Peter Keup, den wir schon am Montag kennengelernt hatten und gingen zu der Gedenkstätte. Dieser führte uns dort durch das Zuchthaus, wo er selbst neun Monate inhaftiert war und berichtete bewegend von den Leiden, die er im Gefängnisalltag erleiden musste. Den zweiten Teil des Tages bildete ein Workshop zum Schicksal zweier Personen, die aus unterschiedlichen Motiven und Perspektiven die DDR verlassen wollten, und wie sie dieses Ziel erreichten.
Die Akademie wurde am Freitag von dem Gespräch „Sind wir ein Volk? Baustellen zwischen Ost- und Westdeutschen“ mit Dr. Wolfgang Thierse, dem ehemaligen Bundestagspräsidenten von 1989 bis 2005, gekrönt. Zwei Stunden lang hielten wir eine gewinnbringende Konversation über aktuelle und historischen Gemeinsamkeiten und Baustellen zwischen Ost- und Westdeutschland und hinterfragten die angeführte Fragestellung: „Wie viel Gleichheit bedeutet Einigkeit?“.
Nach diesem außerordentlichen Erlebnis begaben wir uns zu dem Berliner Ostbahnhof, um nach Hause zu fahren. Im Laufe der Fahrt wurde die ganze Gruppe derart zusammengeschweißt, keiner wollte so recht daran glauben, dass die Fahrt schon zu Ende sein sollte. Uns wurde aber ein eventuelles Nachtreffen zugesagt, in den nächsten Osterferien beginnt die nächste Akademie unter dem Schwerpunkt „Demokratie“.

Lucian Gumny und Lasse Maghon

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